Was ist ein Schutzkonzept?

Um Kinder und Jugendliche überall dort, wo sie sich aufhalten, vor sexuellem Missbrauch schützen zu können, muss man wissen, wie. Sexueller Missbrauch ist kein Versehen, sondern eine geplante Tat. Damit es nicht dem Zufall überlassen bleibt, ob Mädchen und Jungen geschützt werden, braucht auch Prävention in Einrichtungen und Institutionen einen Plan: ein Schutzkonzept.

Jede und jeder Einzelne in der Gesellschaft soll sich mit dem Thema auseinandersetzen und aktiv dazu beitragen, sichere Räume für Mädchen und Jungen zu schaffen. Gerade Einrichtungen oder Organisationen, denen Kinder und Jugendliche anvertraut sind, müssen wissen, wie wirksamer Kinderschutz umgesetzt werden kann.

Sie sollten sich folgende Fragen stellen:

  • Welche Strategien setzen Täter und Täterinnen ein, um sexuelle Gewalt zu planen und zu verüben?
  • Welche Gegebenheiten könnte ein Täter oder eine Täterin in unserer Einrichtung bzw. in unserer Organisation ausnutzen?
  • An wen wende ich mich im Falle eines Verdachts?
  • Wie sieht ein Umgang mit Mädchen und Jungen aus, der ihre individuellen Grenzen achtet?
  • Wie kann ich mich selbst vor falschem Verdacht schützen?

Ein Schutzkonzept dient der Beantwortung all dieser und weiterer Fragen und bezieht auch den Umgang mit digitalen Medien ein, da Kinder und Jugendliche nicht zwischen online- und offline-Welt trennen.

Ein Schutzkonzept hilft beispielsweise Schulen, Kindertagesstätten, Heimen, Sportvereinen, Kliniken, Kirchengemeinden oder Kinder- und Jugendreisen zu Erfahrungsräumen und Orten zu werden, an denen Kinder und Jugendliche wirksam vor sexueller Gewalt geschützt sind. Zugleich sollten sie Orte sein, wo Mädchen und Jungen kompetente Ansprechpersonen finden, die zuhören und helfen können, wenn ihnen dort oder andernorts – beispielsweise im familiären Umfeld – sexuelle Gewalt angetan wird.

Ein Schutzkonzept gibt Missbrauch keinen Raum!

Ein Schutzkonzept sollte von der Einrichtung oder Organisation, für die es gedacht ist, selbst entwickelt werden. Die Verantwortung dafür liegt bei der Leitung. Dabei ist es wichtig, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Akteure der Organisation frühzeitig in die Entstehung des Schutzkonzepts einzubinden. Wenn möglich sollten auch Kinder, Jugendliche und Eltern beteiligt werden. Die Einrichtung oder Organisation sollte sich dazu am besten von Fachleuten, wie sie in spezialisierten Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt, aber auch in den eigenen Strukturen der Träger und Verbände zu finden sind, begleiten lassen. Diese Expertinnen und Experten können ihre Erfahrung und Kompetenz in die Entwicklung einbringen. Ihr Blick von außen hilft, Betriebsblindheit und die damit verbundenen Auslassungen zu verhindern, aber auch interne Dynamiken zu erkennen.

Am Anfang des Prozesses sollte eine Risikoanalyse durchgeführt werden, die zwei Risiken in den Blick nimmt. Zum einen sollte sie offenlegen, wo die „verletzlichen“ Stellen einer Einrichtung oder Organisation liegen – sei es im Umgang mit Nähe und Distanz, im baulichen Bereich oder im Einstellungsverfahren, bzw. im Auswahlverfahren etwa bei ehrenamtlichen Akteuren. Die Risikoanalyse verfolgt systematisch die Frage, welche Bedingungen Täter und Täterinnen vor Ort nutzen könnten, um sexuelle Gewalt vorzubereiten und zu verüben. Zum anderen sollte der Frage nachgegangen werden, wie groß die Gefahr ist, dass betroffene Mädchen und Jungen in dieser Einrichtung oder Organisation keine Hilfe finden oder gar nicht danach suchen. Die Ergebnisse dieser beiden Analysen zeigen, welche konzeptionellen und strukturellen Verbesserungen im Sinne des Kinderschutzes erforderlich sind. Gerade im Rahmen der Risikoanalyse sollten Mädchen und Jungen Möglichkeiten zur Beteiligung erhalten. Ihre Erfahrungen, Einschätzungen und Vorstellungen sind unverzichtbar. Aber nicht nur die Gefährdungen sollten untersucht werden, sondern auch die Stärken der Einrichtung oder Organisation. Im Rahmen einer Potenzialanalyse kann eine Einschätzung entwickelt werden, welche präventiven Strukturen und Maßnahmen bereits vorhanden sind, auf die mit dem Schutzkonzept aufgesetzt werden kann. In der Regel fängt keine Einrichtung oder Organisation hier bei „null“ an.

Für einen ersten inhaltlichen Überblick bietet es sich an, die thematischen Inhalte und Maßnahmen in neun Bestandteile zu gliedern. Sie stellen keine starre Abfolge dar, können in unterschiedlicher Reihenfolge entwickelt werden, greifen ineinander und bauen aber auch zum Teil aufeinander auf. Diese Aufteilung ist natürlich nicht zwingend. In der Praxis bereits entwickelte Konzepte sind auch nach anderen Schwerpunkten gegliedert, so können mehrere Bestandteile unter gemeinsamen Überschriften zusammengefasst oder manche Bestandteile nochmals unterteilt und an verschiedenen Stellen des Konzepts berücksichtigt sein.

Welchen „Fahrplan“ die einzelne Einrichtung oder Organisation wählt, wird zum einen davon abhängen, welche Ergebnisse die Risiko- und Potentialanalyse hatte und welche Bestandteile eine besondere Dringlichkeit aufweisen. Zum anderen wird aber auch handlungsleitend sein, welcher Zugang als geeignet empfunden wird, angesichts der vorhandenen Ressourcen. Die Entwicklung der Schutzkonzepte kann aus denselben Gründen sehr unterschiedlich viel Zeit beanspruchen.

Um sich nicht unter Druck zu setzen, sollte man sich bewusst machen:

Das Entscheidende ist, sich auf den Weg zu machen und den Prozess zu beginnen. Denn Schutz entfaltet sich schon dadurch, dass das Thema Missbrauch angegangen und nicht tabuisiert wird. Die Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten liegt in der Verantwortung der Leitung einer Institution.

Die Verantwortung für den Schutz vor Gewalt in einer Einrichtung sollte in der Satzung, in einer Ethikrichtlinie bzw. im Leitbild verankert werden. Dabei ist zu betonen, dass es unabhängig von sozialer oder kultureller Herkunft, sexueller Orientierung oder Behinderung um den Schutz aller Kinder und Jugendlichen geht.

Wirksamer Schutz für Kinder und Jugendliche beginnt mit der Personalauswahl:

  • Welche Haltung haben die Bewerbenden zum Thema Schutz vor Gewalt und Missbrauch?
  • Sind sie offen für die präventiven Angebote in der Einrichtung?
  • Haben sie Erfahrungen aus den vorherigen Betätigungsfeldern?

Der Austausch über diese Punkte bildet zusammen mit der Aufforderung, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, eine wichtige Grundlage für die weitere gemeinsame Arbeit. In Teamsitzungen und Mitarbeitergesprächen sollte regelmäßig der Raum für weitere Anregungen und/oder Fragen bzw. Austausch durch die Leitenden angeregt werden.

Das realistische Ziel von Fortbildungen ist, Beschäftigte in ihrer Rolle als Schützenden zu stärken. Gelungene Fortbildungen wirken sich positiv auf die Akzeptanz von Schutzkonzepten aus. Aber nur wenn, den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Akteuren, das nötige Basiswissen zum Thema Gewalt und Missbrauch vermittelt wird, können sie die notwendige Sensibilität entwickeln.

Ein Verhaltenskodex sollte nicht von der Leitung vorgegeben bzw. von anderen Einrichtungen unverändert übernommen werden. Hier gibt es keine allgemeingültigen Vorlagen. Der Kodex sollte unter Beteiligung der Mitarbeitenden entwickelt werden. Er kann auch als Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag gestaltet werden, um ein Höchstmaß an Verbindlichkeit herzustellen. Der Verhaltenskodex dient den Mitarbeitenden als Orientierungsrahmen für den grenzachtenden Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. Es werden Regeln für Situationen formuliert, die für sexuelle Gewalt leicht ausgenutzt werden könnten. Diese Regeln und Verbote zielen auf den Schutz der Kinder und Jugendlichen und auf den Schutz der Mitarbeitenden vor falschem Verdacht.

Ähnliche Ziele werden mit der Selbstverpflichtungserklärung verfolgt, in der sich Mitarbeitende durch Unterschrift zur Einhaltung verschiedenster Aspekte, die Kinderrechte und Kinderschutz umsetzen, verpflichten.

Ein zentraler Bestandteil des Schutzkonzeptes ist die Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen. Sie sollen an Entscheidungen beteiligt werden, die sie betreffen. Das stärkt ihre Position auf der einen Seite und verringert das Machtgefälle zu den Erwachsenen auf der anderen Seite. Darüber hinaus kann eine Einbeziehung der Mütter und Väter ein gesteigertes Interesse an der Einrichtung und ihren Aktivitäten fördern. Das trägt zur Bereitschaft bei, ein Schutzkonzept zu unterstützen.

Im Bildungs- und Erziehungsbereich sollten regelmäßig konkrete Präventionsangebote gemacht sowie sexualpädagogische Konzepte entwickelt und umgesetzt werden. Auch Mütter und Väter sollten Präventionsangebote erhalten, die Informationen über sexuelle Gewalt bieten und so gestaltet werden, dass sich alle Eltern angesprochen und eingeladen fühlen. Das Recht auf Hilfe in Notlagen sowie das Recht auf die Achtung persönlicher Grenzen, sollte in den Einrichtungen thematisiert und gelebt werden.

Einrichtungen sollten über funktionierende Beschwerdeverfahren verfügen und Ansprechpersonen benennen, an die sich Kinder, Jugendliche, Fachkräfte und Eltern (auch) im Fall eines Verdachts auf sexuelle Gewalt, innerhalb und außerhalb der Einrichtung wenden können.

Als schriftlich festgehaltenes Verfahren zum Handeln in Kinderschutzfällen – innerhalb und außerhalb der Einrichtung – ist der Notfallplan ein unerlässliches Element in einem Schutzkonzept. Der Notfallplan enthält auch ein Rehabilitationsverfahren für Mitarbeitende, bei denen ein Verdacht ausgeräumt werden konnte. Hier ist die Verpflichtung zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt und die Analyse der Entstehungsbedingungen als kontinuierliche Risikoanalyse festgeschrieben.

Der Notfallplan verpflichtet in (Verdachts-)Fällen von sexueller Gewalt, Fachleute bei der Einschätzung und Entscheidungsfindung zum Vorgehen einzubeziehen. So sollen Fehlentscheidungen und ein Vorgehen, das den Ruf der Einrichtung über das Kindeswohl stellt, verhindert werden. Damit die Kooperation im Beratungsfall reibungslos funktioniert, sollte der Kontakt grundsätzlich und unabhängig von einem konkreten Anlass gesucht und gepflegt werden.

Ein Schutzkonzept müssen Sie nicht alleine entwickeln. Fachberatungsstellen in Ihrer Nähe können Sie unterstützen. Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztätig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, haben sogar einen Anspruch auf Beratung gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe (also etwa dem zuständigen Landesjugendamt) gemäß § 8b Absatz 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

Eine explizite rechtliche Verpflichtung zur Entwicklung von umfassenden Schutzkonzepten gibt es nicht. Allerdings haben nach § 79 Absatz 2 Nr. 2 SGB VIII die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Verantwortung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung. Dazu gehören nach § 79a Satz 2 SGB VIII ausdrücklich auch Qualitätsmerkmale für den Schutz vor Gewalt von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen.

Einrichtungen, in denen Kinder oder Jugendliche betreut werden, sind darüber hinaus betriebserlaubnispflichtig gemäß § 45 SGB VIII. Die Betriebserlaubnis erfordert von den Einrichtungen, geeignete Verfahren der Beteiligung und der Beschwerdemöglichkeiten anzuwenden (§ 45 Absatz 2 Nr. 3 SGB VIII) – beides Teilaspekte eines Schutzkonzepts. Außerdem gilt die regelmäßige Vorlagepflicht des erweiterten Führungszeugnisses für das Personal (§ 45 Absatz 3 Nr. 2 SGB VIII), eine Verpflichtung, die im Rahmen der „Personalverantwortung“ angesiedelt ist, die einen weiteren wichtigen Bestandteil eines Schutzkonzepts darstellt.

Übrigens sollte auch von Ehrenamtlichen ein erweitertes Führungszeugnis verlangt werden, wenn diese Kinder oder Jugendliche beaufsichtigen, betreuen, erziehen, ausbilden oder einen vergleichbaren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben sollen (§ 72a Absätze 3 und 4 SGB VIII).

Das Entscheidende ist, sich auf den Weg zu machen und den Prozess zu beginnen. 
Denn Schutz entfaltet sich schon dadurch, dass das Thema Missbrauch angegangen und nicht tabuisiert wird.
 

Quelle: Schutzkonzepte – UBSKM (o. J.): in: Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, [online] https://beauftragter-missbrauch.de/praevention/schutzkonzepte.

Fachliche Unterstützung bei der Erstellung eines individuelle Schutzkonzeptes können sie hier bekommen:

Violetta – die Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen e. V.

Kinderschutzzentrum Nord-Ost-Niedersachsen

Auch im digitalen Raum geschehen Übergriffe bzw. werden Übergriffe angebahnt. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung empfiehlt verschiedene Maßnahmen zu Erstellung eines Schutzkonzeptes im digitalen Raum.

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Jedes Kind hat das Recht, sich sicher zu fühlen
und glücklich aufzuwachsen.

Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung sind gesetzlich verboten!